Montag, 6. Februar 2012

29. Bürger-to-go

"Man muss die Menschen mitnehmen." Dieser Satz könnte aus einem ÖPNV-Grundsätze-Gesetz entnommen sein, wenn es denn eines gäbe: Ganz klar - Eisenbahn, Bus, Taxe müssen die Menschen mitnehmen und sollen sie nicht stehen lassen.

Aber es handelt sich nicht um den Schlüsselsatz der Personenbeförderung, sondern um ein Sprachunkraut, das sich im Funktionärsdeutsch ungefähr so invasionsartig ausbreitet wie die allergene Ambrosia in der Pflanzenwelt unter den Bedingungen des Klimawandels.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will es und die Kirche in Höxter auch; VW-Chef Martin Winterkorn und das Fachmagazin "Friseurwelt", der Rewe-Aufsichtsratsvorsitzende und die FDP Berchtesgarden, der Schalke-Boss Tönnies, der DIHK-Präsident Driftmann, die neue Finanzdezernentin der Universität Jena, der Innenminister von Rheinland-Pfalz und der Wirtschaftsminister von Bayern - sie alle wollen das eine, nämlich die Menschen mitnehmen.

Es handelt sich um eine Art Selbstbeschwörungsformel von Mächtigen, die eine Grenze ihrer Macht erfahren: Das Volk will nicht, jedenfalls nicht auf Anhieb, so wie es soll - beim Bau von Stromtrassen, in der Trainer-Frage, beim Autokauf, bei der Rettung von Banken, Staaten oder Währungen. Die Devise lautet: Wir bestimmen, wo es lang geht, und wenn die Bürger nicht von allein Schritt halten, dann nehmen wir sie eben mit.

In die Demokratie, in das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten, zwischen dem Souverän und seinen leitenden Angestellten, passt das Bild ganz und gar nicht. Es ist anmaßend, patriarchalisch, manipulativ. Regierende schulden den Bürgern Rechenschaft für das, was war, und Gründe für das, was kommen soll. Den "Bürger-to-go" aber gibt es nicht.