Montag, 13. Februar 2012

30. Mir san mir


,,Der Vorschlag der XY-Fraktion wird kritisch gesehen", schrieb ein Fachreferent in den Redeentwurf für seinen Minister. Das ist schönstes Verwaltungsdeutsch - möglichst passiv und nur nicht zu konkret: Ob da eine Position oder eine Beobachtung formuliert worden ist, kann man allenfalls aus dem Zusammenhang schließen.

Wenn er wenigstens geschrieben hätte: "Wir sehen den Vorschlag kritisch." Das wäre immerhin etwas konkreter und typisches Politikdeutsch. Denn auch dort gibt es Formeln, die der Zuhörer erst entschlüsseln muss, und die beliebteste von ihnen dürfte das Wörtchen ,,wir" sein.  An einem einzigen Sitzungstag des Schleswig-Holsteinischen Landtags verzeichnete das stenografische Protokoll das Personalpronomen 1.Person Plural 481 Mal, weit häufiger als die Singular-Variante.

Nun ist das "wir" aber auch ein wahrer Joker. Mal steht es für ein majestätisches Ich ("Wir, Kaiser Wilhelm von Gottes Gnaden "), mal für den bescheidenen Redner oder Autor, der sich mit dem Publikum gemein macht ("Wir wissen doch..."); das "wir" kann einschließen ("Wir wollen doch alle...") und ausschließen ("Wir haben schon immer dafür gekämpft...").

Wenn ein Minister "wir" sagt, kann vieles gemeint sein: er und alle Anwesenden, er und die gesamte Regierung, er und seine Mitarbeiter im Ministerium, er und seine Amtskollegen, er und seine Fraktion oder Partei, er und das Volk, er und sein Hund und und und...

Jeder Mensch kann, hoffentlich, ganz oft "wir" sagen und jedes Mal eine andere Gruppe meinen, der er angehört. Aber Redner sind auserkoren, ihre Gedanken vor großem Auditorium darzulegen. Dann sollten sie - und ihre Ghostwriter - nicht so bequem sein, den Joker zu spielen, wo auch eine bestimmte Karte passt - wenn man sie denn sucht.

In der Juristerei gibt es den Grundsatz der Bestimmtheit. Es muss immer klar sein, was  gemeint ist. Das sollte auch für die öffentliche Rede gelten, insbesondere im Hinblick auf das Subjekt, das etwas will, meint, denkt, fordert, ablehnt oder unterstützt. Frei nach dem bayrischen Grundsatz: Mir san mir - und ich bin ich.