Montag, 25. April 2011

18. Blitz und Glühwürmchen

Die Wörter, die auf "ung" enden, haben wir schon in Folge 11(siehe Archiv, linke Spalte) ausgemerzt. Apropos "ausmerzen": Jeder Text, erst recht eine Rede, wird umso stärker, je treffender man die Wörter wählt. Ausmerzen stammt aus der Schafzucht des 16.Jahrhunderts: Im März sortiert man die Tiere aus, die zur weiteren Zucht ungeeignet sind. Ein Schaf mit schiefen Kiefern oder zu wenig Muskeln wird ausgemerzt, damit es nicht seine Mängel reproduziert. Deswegen sollten wir die "ung"-Wörter nicht nur streichen, löschen oder entfernen, sondern ausmerzen. Dann sind sie ein für alle Mal vernichtet.

Treffend oder nicht - diese Frage lohnt bei Phrasen und Bildern, die wir täglich in Reden vorkommen. Da legen wir Finger in Wunden, dass den Hygieniefachkräften schlecht wird. Dabei geht das Sprachbild auf den ungläubigen Thomas (Johannes 20, 24 - 29) zurück, der an Jesu Auferstehung nur glauben wollte, wenn er seinen Finger in die Nägelmale des Gekreuzigten legen könnte. Den Finger in die Wunde legen bedeutet also, sich unwiderlegbar zu vergewissern. Benutzt wird es aber in einem ganz anderen Sinne, nämlich auf einen Fehler oder Mangel aufmerksam zu machen. Wer das will, sollte eher Salz in die Wunde reiben.

Mark Twain sagte: "Der Unterschied zwischen dem richtigen und einem beinahe richtigen Wort ist derselbe wie der zwischen dem Blitz und einem Glühwürmchen." Täglich begegnen uns Floskeln und Bilder, die nicht Blitze sind, sondern Glühwürmchen, und viele sogar bei Tage. So ein hässliches Würmchen ist der Vorreiter. Er hat in unserer Sprache überlebt, obwohl die Kavallerie längst abgeschafft ist. Dabei meinen wir gar nicht den berittenen Soldaten, der auf Befehl seines Leutnants voraus reitet, um einen Weg auszuprobieren oder weiter vorn Quartier zu machen, oder der voran reitet, um einem Gespann Platz zu schaffen. Was wir meinen, ist zum Beispiel ein Bundesland, das neue Wege geht und dabei so viel Erfolg hat, dass andere ihm folgen.

Wenn wir gerade nicht Vorreiter sind, dann stellen wir Weichen und geben grünes Licht. Wir setzen etwas um, obwohl es sich weder um einen Schüler noch um einen Beamten noch um einen Baum handelt. Wir drücken auf die Tube, obwohl wir uns die Zähne schon morgens geputzt haben. Wir bringen etwas auf den Weg, aber kommt es auch ans Ziel? Wir verlassen die Talsohle, es geht wieder bergauf, aber wollen wir wirklich da hoch? Wer den Berg besteigt, macht sich viel Mühe; aber muss er nicht wieder herunter ins Tal? Wir sagen, die Schere öffnet sich, wenn zum Beispiel die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungsplätzen größer wird. Die Kluft soll sich nicht öffnen, aber eine Schere muss, sonst kann sie nicht schneiden.

Schreibdozenten raten, sich genau vorzustellen, was man da gerade schreibt. Es hilft dabei, treffend zu formulieren und Sprachgebilde zu vermeiden, die nur beinahe richtig oder aber sogar ganz falsch sind. Nun höre ich schon die Einwände: Das machen doch alle so! Und: Weiß doch jeder, was gemeint ist!  Ich halte das Alte Testament dagegen, Exodus 23,2: "Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist."