Montag, 28. März 2011

14. Gefährliche Wahrheiten

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle hat im Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) etwas gesagt, was er auf keinen Fall gesagt haben darf. Es kostete den BDI-Hauptgeschäftsführer den Kopf, weil ihm eine besondere Art von Protokollversehen angelastet wird, nämlich dass die Nichtworte des Ministers im Protokoll auftauchten.

Nun wird wohl kein Redenschreiber auf die Idee kommen, etwas aufzuschreiben, was so wahr ist, dass es auf keinen Fall ausgesprochen werden darf. In der Regel wird er solche Wahrheiten nicht einmal selbst kennen. Gleichwohl stellt sich auch für die, die Redetexte für ihre Chefs zu formulieren haben, die Frage: Wie halten wir es mit der Wahrheit?

Eine einfache Regel hat der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt aufgestellt, als er das Informationsverhalten der japanischen Regierung zur Atomkatastrophe von Fukushima kommentieren sollte. Schmidt sagte, auf Voltaire gestützt : "Eine Regierung muss nicht alles sagen, was wahr ist. Aber was sie sagt, muss wahr sein." Öffentliche Amtsträger dürften gut damit fahren, wenn sie - und ihre Redenschreiber - sich daran halten.

Glaubwürdigkeit wird allerdings nicht nur durch Unwahrheit oder gar Lüge riskiert. Man kann sie auch durch Heuchelei gefährden - etwa wenn ein Chef auf der Betriebsversammlung die Belegschaft über den grünen Klee lobt, während er im Alltag nur Unzufriedenheit zeigt. Man kann die Glaubwürdigkeit auch durch Unwahrhaftigkeit strapazieren. Ein Mitleid erweckendes Beispiel dafür boten die Redner im Bundestag, als sie im Februar 2011 einen Minister in Schutz nahmen, dessen Dissertation auf 75 Prozent der Seiten Plagiate enthält, und zwar ganz ohne Absicht des Verfassers.

Es hat auch schon Landesminister gegeben, die Statistiken solange hin- und herrechnen ließen, bis sich unter irgend einem Nebengesichtspunkt doch noch ein vorderer Platz ergab. Aber zu schönen, zu übertreiben, zu hoch zu greifen, verfehlt meist seinen Zweck: Die Zuhörer merken es, wenn ihnen ein X für ein U vorgemacht werden soll. Da kommt der Redner, zumal der politische Redner wesentlich weiter, der ein Problem ein Problem nennt und dann noch einen Lösungsansatz mitliefert.

Dabei muss man gar nicht soweit gehen wie Max Frisch, der sagte: "Die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand."