Montag, 14. März 2011

12. Bitte recht freundlich

Als der Verfassungsrechtler Ingo von Münch ein paar Jahr in der Politik gearbeitet hatte, als Wissenschaftssenator und Zweiter Bürgermeister in Hamburg, da fiel ihm dieses auf: "In Deutschland gehen mehr Arbeitsstunden durch Grußworte verloren als durch Streiks." Keiner weiß, ob das stimmt. Ob aber ein Grußwort den Zuhörern wirklich nur die Zeit raubt, hängt - unter anderem - vom Manuskript ab.

Was ist ein Grußwort? Es ist kein Vortrag, der ein vorgegebenes Sachthema ausführlich darbietet. Ein Grußwort ist keine Rede, mit der der Redner sein Publikum überzeugen, beruhigen, motivieren oder sonstwie beeinflussen will. Es ist auch keine Ansprache, in der man einen gegebenen Anlass – ob Volkstrauertag, Meisterfeier des Maurerhandwerks oder Jubiläum des Yachtclubs von 1848 – aufnimmt und eine Haltung dazu entwickelt. Ein Grußwort ist erst recht kein Diskussionsbeitrag, kein Plädoyer und schon gar nicht eine Kritik.

Der Zweck des Grußwortes ist, wie der Name sagt, das Grüßen. Nach psychologischem Verständnis soll der Gruß Aggressionen verhindern. Jeder weiß, wie es wirkt, wenn der Gruß verweigert wird. Mit dem Gruß zeigt man, wie man zum Gegrüßten steht. Und genau das ist auch die Funktion des Grußwortes, zu dem etwa ein Minister des Gastlandes auf eine Tagung eingeladen wird.

Daraus lassen sich ein paar Regeln ableiten, wie ein Grußwort angelegt werden sollte:
• Es muss freundlich und höflich sein; sonst hätte man die Einladung ablehnen sollen.
• Die zu Grüßenden, also die Tagungsteilnehmer bzw. der Veranstalter, gehören in den Mittelpunkt.
• Im Grußwort soll ihr Anliegen, ihre Profession, ihr Thema gewürdigt werden. Der Redner soll beschreiben, wie er es sieht, wie es ihn betrifft, was er daran wichtig findet.
• Ein Grußwort bei einer Geothermie-Tagung sollte also nicht im Wesentlichen von der Windenergie handeln, nur weil sie wichtiger ist.

De mortuis nihil nisi bene, sagten die Lateiner. Dieses Motto sollte nicht nur gegenüber den Toten gelten, sondern auch gegenüber allen Lebenden, an die sich ein Grußwort richtet: Man sage über sie nichts außer auf gute Weise. Wenn man nichts Positives zu sagen hat, schweigt man entweder, oder aber man sagt Kritisches, dann aber ebenfalls "bene" - also fair und freundlich.

Die Kulturgeschichte kennt viele Grußrituale. Den Kniefall, die Umarmung, die Hand an der Militärmütze. Ich stelle mir einen Herrn vor, wie er seinen Hut zum Gruß zieht und mit ihm winkt – respektvoll, aber souverän. Das ist die richtige Haltung, und dann finde ich auch die geeigneten Sätze und den passenden Ton.